Unser Hirn schafft sich ab.

von Team Redaktion
23. August 2012
Unser Hirn schafft sich ab.

Und wieder ist einer unterwegs – ein Sommerloch-Populist, der uns zeigt, wo’s langgeht oder besser nicht langgeht! Der Thilo Sarrazin der Hirnforschung hat ein neues Buch veröffentlicht und tingelt nun mit seinen Thesen durch die gute alte Print- und die so verhasste digitale Medienlandschaft.

Manfred Spitzer und sein „Digitale Demenz – wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ haut einmal mehr in die hohle Kerbe „böses Internet“ und „demente User“ und spielt mit der Angst seiner Leser: „Bei Kindern und Jugendlichen wird durch Bildschirmmedien die Lernfähigkeit drastisch vermindert. Die Folgen sind Lese- und Aufmerksamkeitsstörungen, Ängste und Abstumpfung, Schlafstörungen und Depressionen, Übergewicht, Gewaltbereitschaft und sozialer Abstieg.“

„Als die erste Dampflok fuhr, glaubten einige, der Mensch müsse an der Geschwindigkeit zugrunde gehen. Der Hirnforscher Manfred Spitzer glaubt, das Web sei eine Dampflok.“

Fördern digitale Medien unsere schleichende Verdummung? Nehmen unsere kognitiven Fähigkeiten ab, weil wir nicht mehr im Brockhaus, sondern bei Wikipedia nachschlagen? Und bringt uns ein Navi um den Verstand? Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer meint: Ja!

Unsere mentale Leistungsfähigkeit nimmt – mit der zunehmenden Nutzung digitaler Medien – mehr und mehr ab. Denn die digitalen Helferlein erledigen geistige Arbeit und übernehmen das Denken für uns. Der „mentale Muskel“ wird also nicht mehr gebraucht und verkümmert, genau so wie sein körperliches Pendant verkümmert, wenn man sich körperliche Arbeit von Maschinen abnehmen lässt:

„Als Neurowissenschaftler weiß ich, dass man völlig ausschließen kann, dass das keine Auswirkungen auf das Gehirn hätte. Genauso wie unser Körper durch die passive Lebensweise nun auf Joggen und Fitness-Center angewiesen ist, ist auch das Gehirn ein dynamisches Organ, das bei ausbleibendem Input verfällt.“

Wieso bleibt bei digitaler Mediennutzung der Input aus? Berieseln wir unser Gehirn nicht vielmehr mit zu viel Input? Und werden dabei immer „oberflächlicher, gehen Dingen weniger auf den Grund“ und sind durch die ständige Verfügbarkeit von Google, Wikipedia und Co. dem Gedächtnisverlust anheim gegeben?

Und wir vereinsamen. Die Sozialen Medien übernehmen die Kontrolle und bringen uns um reale Bekanntschaften und aufregende Dates. Zwanghaftes Computerspielen hält uns vom Toilettengang ab und macht aggressiv! E-Learning führt zu schlechten Schulnoten und Aufmerksamkeitsstörungen! Und sogar mit dem „Baby-Chinesisch“ wird es nichts, verlässt Baby sich dabei nur auf CD und DVD.

Bleibt noch Online-Shopping? E-Books? Digitales Fernsehen? … Alles Teufelszeug oder besser Medienzeug, geschickt lanciert und in Szene gesetzt von den reichsten Medienunternehmen der Welt und deren gekauften Experten – und all das, um noch reicher zu werden und uns weiter zu verdummen.

Und keiner tut etwas dagegen – im Gegenteil. Die Politik ist „eine unheilige Allianz mit den Medien eingegangen“ und unterstützt die fatale früh- und spätkindliche Entwicklung von Medienkompetenz! Und das ist vergleichbar mit dem „Anfixen in der Drogenszene“:

„Auch Alkohol ist Teil unserer Kultur. Betreiben wir Alkohol-Pädagogik in Kindergärten und Grundschulen? Nein, denn Alkohol macht süchtig und schadet der Entwicklung junger Menschen. Digitale Medien schaden ebenfalls nachweislich der Entwicklung junger Menschen.“

Ich würde, wie Nico Lumma, ebenfalls einmal „postulieren, dass es Kinder und Jugendliche auch in ihrer Entwicklung behindern würde, wenn sie den ganzen Tag über nur Micky Mouse oder die BILD-Zeitung lesen.“

Ein wenig differenzierter könnte er also schon sein, der neurowissenschaftliche Rundumschlag gegen alles Digitale. Klar brauchen wir auch weiterhin Lehrer und Erzieher aus Fleisch und Blut, die singen und vorlesen und all das tun, was sie eben tun. Aber warum sollten sie dabei nicht mit elektronischen Tafeln arbeiten? Und was spricht dagegen, den 30 bändigen Brockhaus online zu nutzen oder durch ein digitales Equivalent zu ersetzen? Die sinnliche Erfahrung des knisternden Papiers? Auch das Wischen über ein blankes Tablet ist eine sinnliche Erfahrung wert!

http://www.youtube.com/watch?v=R8Fi1CBcJXU

4 Kommentare

Ulf Uebel 23. August 2012 - 11:32

Der Beitrag ist ein Beweis dafür, dass Spitzer Recht hat. Offensichtlich ist sein Buch für diesen Beitrag (bestenfalls) gescimmt und definitiv nicht gelesen worden, sonst wären nicht irgendwelche Nebenaussagen, sondern vielleicht die eine oder andere von ihm zitierte Studie wahrgenommen worden. (Wenn man auf die Hyperlinks geht, zeigt sich, dass nicht die Originalquelle hier zitiert wird, sondern Zitate von Zitaten. Das ist genau das, was das Netz hervorbringt, wenn man schlampig damit umgeht, Schatten auf der Wand, keine eigenen Erkenntnisse). Den Vorwurf des Populismus muss die Autorin damit gegen sich selbst gelten lassen. Ich empfehle dringend, sich die Mühe zu machen, die 300 Seiten zu lesen. Und keine Panik: Wem das schon zu viel Papier und Gewicht ist, das Buch gibt’s auch (Vorsicht, schwerer zu lesen) als E-Pub, Kindle I-Pad etc.können also dafür sinnvoll genutzt werden…

Antwort
Manja Baudis 23. August 2012 - 12:08

Die Zitate sind nicht „irgendwelche Nebenaussagen“ der Originalquelle Buch, sondern eben besagte Thesen, mit denen Originalquelle Spitzer derzeit durch die (digitalen) Medien tingelt (siehe u.a. Video der NDR Talkshow). Und diese sind wenig differenziert und durchaus populistisch.

Aber vielleicht hilft eine gründlichere (iPad)-Lektüre der von Spitzer gesammelten Studien dabei, über seine öffentlichen Äußerungen hinwegzusehen.

Antwort
Gaming als Kulturfaktor | Smart Service 23. Mai 2013 - 7:36

[…] sowohl Entwickler als auch Spieler, längst Teil der Alltagskultur – auch wenn das von den Gaming-macht-süchtig-und-deformiert-das-Hirn-Spitzers dieser Welt mit hysterischen Gesängen bekämpft […]

Antwort
Omnichannel – Das Mittel gegen die Digitale Demenz von Unternehmen? | Smart Service 5. Juli 2013 - 7:31

[…] Gegensatz zu Herrn Spitzer sehe ich die Digitale Demenz eher auf Seiten der Unternehmen als beim Verbraucher grassieren. Die […]

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